Die geheimnisvolle Möbiusschleife

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Portrait Richard Estermann

Schon in der Jugendzeit faszinierte mich die Möbiusschleife, dieses unglaubliche Phänomen mit dem verblüffenden Ergebnis. Auch in meinen unzähligen Kursen und Workshops praktizierten wir das erstaunliche Experiment immer wieder. Die Durchführung ist mehr als simpel: Man nehme einen Papierstreifen von ungefähr 60 cm Länge und klebe ihn einfach zusammen, zu einer Schleife.

Doch vor dem zusammenkleben – und das ist das Entscheidende – gibt man dem Papierstreifen eine Drehung von 180 Grad. Danach wird das Band in der Mitte entzweigeschnitten und was kommt dabei heraus? Natürlich zwei gleich lange Streifen? Nein! Das unglaubliche Ergebnis ist EINE einzige Schleife, dazu von doppelter Länge! - Das Faszinierende ist die Einfachheit des Experiments. Jeder kann es jederzeit ohne grossen Aufwand durchführen und ohne irgendwelche physikalischen Kenntnisse. Trotzdem macht das überraschende Ergebnis immer wieder sprachlos. Beschrieben wurde das Phänomen erstmals 1858 durch den Göttinger Mathematiker und Physiker August Möbius. Seither haben sich unzählige Wissenschaftler für dessen Erklärung die Zähne ausgebissen. Doch vor einigen Jahren einigte man sich auf eine «Erklärung», die in Wirklichkeit aber gar keine ist. Man stellte zu diesem Zweck haarsträubende physikalisch-mathematische Formeln auf und argumentierte, das Möbiusband sei eine «nicht-orientierbare Mannigfaltigkeit...» Alles klar?

Tatsache ist: Das Möbiusband hat nach deren 180-Grad- Drehung nur noch eine Seite bzw. Vor- und Rückseite des Bandes ist jetzt eine einzige Fläche! Man kann das gut überprüfen, indem man mit dem Rotstift auf einer Seite des Bandes entlangfährt. Plötzlich ist man - nicht erkennbar - auf der «anderen» Seite! Wird das Spiel mit dem Zerschneiden der Möbiusschleife weitergetrieben, also das Band zweimal, dreimal oder noch mehr zerschnitten, resultieren immer abenteuerlichere Ergebnisse: Es entstehen dabei mehrfach verdrillte, zwei gleiche oder ineinander verflochtene Ringe... Unwillkürlich müssen wir dabei an den niederländischen Künstler und Grafiker M.C. Escher denken und an seine Ameisen, welche auf einem geschlossenen Band immer in die gleiche Richtung laufen. Aber auch andere «unmögliche» Installationen und Bilder von ihm wie das «Perpetuum Mobile», merkwürdige Wasserfälle, Treppen laufen hinauf und hinunter oder die «unmögliche Lattenkiste» zeigen, dass unsere Wahrnehmung nicht immer eindeutig und auf dieser Welt nicht alles so einfach erklärbar ist!

Für viele Menschen gibt die Möbiusschleife einen Einblick in die vierte Dimension. Wir leben und bewegen uns bekanntlich in einer dreidimensionalen Welt. Eine vierte Dimension existiert, ist für uns aber nicht wahrnehmbar oder vorstellbar. Und vielleicht gibt es noch Gesetzmässigkeiten, die wir einfach nicht kennen. Wie sagte schon der grosse Naturforscher Isaac Newton: «Was wir wissen ist ein Tropfen – was wir nicht wissen ein Ozean!»